Covid-19 und die verschärften sozialen Ungleichheiten

Es besteht die Gefahr, dass sich die Schere zwischen arm und reich durch die Corona-Krise weiter öffnet. Bereits heute zeichnet sich eine Vergrösserung der sozialen Ungleichheit ab. Dieser Entwicklung muss entschieden entgegengetreten werden, damit sich die Armutssituation in der Schweiz nicht verschärft.

Dank Kurzarbeitsentschädigungen, Erwerbsersatzzahlungen für Selbstständige und Corona-Kredite stiegen die Arbeitslosigkeit und die Sozialhilfe-Fallzahlen im Jahr 2020 nur wenig an. Hingegen reihten sich immer mehr Menschen in die Schlangen vor den Lebensmittelabgaben ein oder wandten sich in ihren akuten finanziellen Notlagen an Hilfswerke wie Caritas, Winterhilfe oder Heilsarmee. Viele lebten bereits vor der Krise von der Hand in den Mund und können nun die pandemiebedingte Einkommenseinbussen oder Mehrausgaben unmöglich abfedern. Häufig betroffen sind Alleinerziehende, Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus und Personen in prekären Arbeitsverhältnissen. Der Entscheid in der Wintersession, die Kurzarbeitsentschädigung für tiefe Einkommen bis 3470 Franken auf 100 % zu erhöhen, war bitternötig.

Arbeiten bis zur Erschöpfung für wenig Lohn

Gleichzeitig gibt es Menschen, die in der Krise zum Wohl aller enorm viel leisten. Sie pflegen die Kranken, liefern Pakete, putzen und desinfizieren, kümmern sich in Kitas um die Kinder. Sie nehmen Corona-Ansteckungen in Kauf, denn ihre systemrelevanten Aufgaben lassen sich nicht im Homeoffice erledigen. Obwohl sie uns mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen versorgen, gehören wenig Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen häufig zu ihrer Berufsrealität. Die Gründe für die schlechte Entlöhnung sind je nach Branche unterschiedlich. In Bereichen, die wegen Corona boomen, beispielsweise im Onlinehandel, werden die Spitzen in der Arbeitslast mit Angestellten von Subunternehmen und mit Leihpersonal bewältigt. Der Kostendruck und die Verantwortung für die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards werden auf diese Weise an Subunternehmen weitergegeben werden. Die Bezahlung in Care-Berufen ist seit jeher schlecht. Zumindest in der Pflege könnten wir im Parlament jetzt für Verbesserungen sorgen, denn zurzeit beraten wir den indirekten Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative. Doch leider tut sich eine Mehrheit schwer mit der Stärkung der Pflege. Doch eine solche wäre auch in Hinblick auf zukünftige Pandemien dringend nötig!

Die Politik bleibt weiter gefordert

Auch wenn die Corona-Impfung Hoffnung macht, dass die Pandemie im Laufe des Jahres 2021 abflacht, wird die Covid-19-Krise die Politik noch lange beschäftigen. Einerseits gilt es, die Herausforderungen der aktuellen Krise zu bewältigen und andererseits in der Krise aufgedeckte Schwachstellen im System der sozialen Sicherheit zu beseitigen. Mit gezielten Massnahmen für faire Entlöhnungen und eine gute soziale Absicherung sollte die Armut konsequent bekämpft werden.

Prekäre Arbeitsbedingungen und schlechte Entlöhnungen führen zu Erwerbsarmut. Unternehmen, die in der Krise einen regelrechten Schub erlebten, griffen häufig auf Subunternehmen und Leihpersonal zurück, um dem erhöhten Personalbedarf zu begegnen. Diese Auslagerungen sollten möglichst rasch beendet werden, denn das strukturelle Wachstum verlangt nach einer langfristigen Personalpolitik mit guten Arbeitsbedingungen und Festanstellungen.

Die oben erwähnte Erhöhung der Kurzarbeitsgelder für tiefe Einkommen wurde befristet bis Ende März 2021 beschlossen. Die Problematik, dass eine Entschädigung von 80 % für Menschen mit tiefen Einkommen einfach nicht ausreicht, weil sie jeden Rappen zur Deckung ihrer Lebenshaltungskosten benötigen, besteht jedoch auch in Normalzeiten. Die Regelung der Kurzarbeitsentschädigung sollte im Fokus auf den Tieflohnsektor generell überprüft werden.

Seit Ausbruch der Pandemie ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt angespannt und so ist es für Arbeitslose viel schwieriger, wieder einen Job zu finden. Das Seco meldet einen massiven Anstieg von Langzeitarbeitslosigkeit. Mit der Verlängerung der ALV-Taggelder könnten Corona-bedingte Aussteuerungen in den nächsten Monaten verhindert werden.

Die SKOS prognostiziert aufgrund der Corona-Krise einen starken Anstieg der Sozialhilfe-Fallzahlen. Sie geht bis 2022 von einem Zuwachs von 28 % aus. Die Sozialhilfe verhindert Ausgrenzung und Verarmung und leistet so einen zentralen Beitrag zur gesellschaftlichen Stabilität. Die finanziellen Mittel zur Bewältigung dieses Anstiegs müssen frühzeitig bereitgestellt werden.

Die Sozialhilfe als letztes Netz der sozialen Sicherheit ist für Menschen da, die in eine Notlage geraten sind. Sie ist nicht geeignet, breit gefächerte, strukturelle Probleme wie beispielsweise Familienarmut zu lösen. Die Antwort auf strukturell bedingte Notlagen sollten Bedarfsleistungen wie Ergänzungsleistungen oder Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose sein. Die Forderung von Caritas nach zielgerichteten und unbürokratischen Direktzahlungen für Haushalte und Einzelpersonen, deren Einkommen unter dem Niveau liegt, das zu Ergänzungsleistungen berechtigt, sollte deshalb dringend genauer geprüft werden.

Gerechte Verteilung der finanziellen Last

Die Corona-Hilfspakete kosten viel Geld und die Schweiz wird – wie alle anderen Länder – mit hohen Schulden aus der Krise kommen. Eine Diskussion, wie die Lasten der Pandemie verteilt werden können, wird kaum geführt. Bestrebungen, verschiedene Akteure bereits heute an den Kosten zu beteiligen, sind selten und unbeliebt. So ist in der Wintersession der Versuch gescheitert, Vermieterinnen und Vermieter von Geschäftslokalitäten einen Beitrag abzuringen, indem sie zwingend 60 % der Mieten erlassen.

Die Krise hat gezeigt, dass auch Selbstständigerwerbende bei einer länger andauernden Erwerbseinbusse auf Unterstützung angewiesen sind. Es ist deshalb an der Zeit, eine freiwillige Arbeitslosenversicherung für diese Berufsgruppe, wie sie in der Bundesverfassung vorgesehen ist, einzuführen. So könnten auch Selbstständigerwerbende Beiträge an die Arbeitslosenversicherung leisten und damit für den Bedarfsfall eine Bezugsberechtigung generieren.

Ohne gezielte Gegenmassnahmen werden die Steuerzahlerinnen und die Steuerzahler sowie die Menschen, die auf Leistungen der sozialen Sicherheit angewiesen sind, am Ende die gesamte Zeche der Pandemie bezahlen. Das Parlament verfügt schliesslich über eine grosse Routine im Kürzen von Sozialversicherungsleistungen. Jetzt muss das Parlament das Steuer in die Gegenrichtung reissen und adäquate Lösungen finden, damit nicht der Mittelstand, nicht die finanziell und sozial Schwächeren unter uns und auch nicht nur der Mittelstand die finanzielle Zeche der Krise bezahlen muss.


von Yvonne Feri, Januar 2021

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