Arbeitslos über 60 – Keine wirklich gute Lösung in Sicht

In der Wintersession 2019 hat der Ständerat über eine Überbrückungsleistung für Arbeitslose ab 60 Jahren verhandelt.  Diese sieht in gewissen Fällen eine Rente vor dem eigentlichen AHV und Pensionsalter vor. Sie ist zudem an viele Bedingungen geknüpft. Am Ende blieb indes nicht viel übrig von einem Gesetz, welches dringend nötig wäre. Der Nationalrat ist nun gefordert.
von Urs Berger, in Zusammenarbeit mit VfsG, Januar 2020

Eine Überbrückungsleistungen (ÜL) für über 60jährige Arbeitslose ist nötig und sinnvoll. Wer bereits arbeitslos war weiss, dass die Suche nach einer neuen Anstellung bereits ab 40 schwerer wird. Oft wird bereits in diesem Alter mit den hohen Kosten argumentiert. Dennoch sind die Hürden für die vorgesehene ÜL sehr hoch. Folgende Voraussetzungen müssten gemäss Bundesrat erfüllt sein:

1. Es braucht eine Aussteuerung aus der Arbeitslosenversicherung nach dem vollendeten 60. Altersjahr; diese Bedingung erfüllen Personen, die mit 58 Jahren oder später ihre Stelle verloren und die Mindestbeitragszeit von 22 Monaten in die Arbeitslosenversicherung erfüllt haben;
2. ein Vermögen unter 100’000 Franken für alleinstehende Personen und unter 200’000 Franken für Ehepaare;
3. eine Mindestversicherungsdauer in der AHV von zwanzig Jahren mit einem Erwerbseinkommen in der Höhe von je 75 Prozent der maximalen AHV-Altersrente;
4. in den fünfzehn Jahren vor der Aussteuerung während zehn Jahren ein Erwerbseinkommen in der Höhe von 75 Prozent der maximalen AHV-Altersrente; dies entspricht der Eintrittsschwelle ins BVG;
5. kein Bezug einer Alters- oder Invalidenrente der ersten Säule.

Die GegnerInnen der Vorlage argumentierten, dass das SECO bei der Arbeitslosenquote der über 55-jährigen stetig abgenommen habe. Diese lag 2018 bei 5,6%, bei den über 60-jährigen lag die Quote 2018 bei 4.6%. Gemäss den Zahlen des SECO seien Ende Oktober 2019 2’200 bis 3’000 Menschen, welche über 60 Jahre alt sind, ausgesteuert.

Einfach nur eine neue Fürsorgeleistung?

Weiter argumentierten die GegnerInnen dieser Vorlage mit dem Argument, dass die neue Fürsorgeleistung Ausgaben im Bereich einer Viertelmilliarde bis ins Jahr 2028 verursachen würde. Würde die Konjunktur einbrechen, würden diese Ausgaben noch weiter steigen und bei 8’000 bis 10’000 ausgesteuerten älteren Arbeitslosen über eine halbe Milliarde kosten. Es wäre vernünftiger, würde man hier Vorsicht walten lassen und nicht weitere gebunden Ausgaben einführen, welche dann keine Einsparungen bringen würden.

Auch monierten die GegnerInnen der Vorlage, dass diese steuerfrei bezogen werden könnte. Die ÜL von 69’440 Franken für ein verheiratetes Paar (pro Monat 5’786 Franken) sei übertrieben. Dies auch, weil die Krankenkassenprämien, die Arbeitgeberbeiträge an die Pensionskasse und die AHV/IV durch den Bund übernommen würden. Mit der kommenden Demografie würde zudem eine Umverteilung der Abzüge auf die jüngere Generation verlagert. Durch die Babyboomer Generation, welche bald in Rente gehen, würden die Sozialsysteme sowieso bald kollabieren.

Ein Argument war in der Diskussion im Ständerat auch, dass die Sozialversicherungen noch nicht saniert seien und dies wohl auch auf lange Sicht nicht sein werden. Die Verluste würden weiter zu nehmen und steigen.

Keine Aussteuerung mehr ab 55 – SKOS ist auf Seiten der älteren Arbeitnehmenden

Paul Rechsteiner (SP, SG) vertritt seit Jahren in der Kleinen Kammer die Rechte der Arbeitnehmenden und ist ein Gewerkschafter mit viel Herz. Er appellierte an den Rat wie folgt: »Sie (die ÜL, Anmerkung des Verfassers) betrifft nur eine Minderheit, aber diese wird unglaublich hart getroffen. Sie können nicht nachfühlen was es bedeutet, vor der Aussteuerung zu stehen und vor dem Absturz in die Sozialhilfe, sobald man das Vermögen aufgebraucht hat. Im Hearing haben die kantonalen Konferenzen Beispiele gebracht. Etwa das eines 59-jährigen Schreiners, der seit dreissig Jahren im selben Betrieb tätig war. Dann wurde der Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen – da war nichts zu machen. Nach 520 Tagen in der Arbeitslosenversicherung war es mit der Unterstützung vorbei – mit noch nicht einmal 62 Jahren. Das Ersparte war rasch aufgebraucht. Es blieb nur noch die Sozialhilfe und zum frühesten Zeitpunkt dann die vorzeitige AHV-Rente, mit 63 Jahren. Dies bedeutete auch enorme Kürzungen, Altersarmut, Ergänzungsleistungen – und dies für jemanden, der sein Leben lang gearbeitet hatte. Das sind die Leute, für die es diese ÜL braucht.«

Ruedi Noser kippte die Vorlage

Mit dem Beschluss auf die Vorlage einzutreten begann die Detailberatung. In dieser äusserte sich Ruedi Noser (ZH, FDP – Die Liberalen) zur Vorlage und reichte gleichzeitig einen Einzelantrag vor, der die Vorlage zu Ungunsten der Arbeitnehmenden abschwächte. Sein Antrag schwächte diese in den folgenden Bereichen ab:

1. Die Überbrückungsleistung soll nur solange bezahlt werden, bis die AHV Rente greift
2. Die Bundeskasse wird damit entlastet
3. Die Kantone werden ein wenig entlastet, müssen aber über die Auszahlung der Ergänzungsleistungen helfen.

Weiter führte Noser aus, dass dies durchaus zu Rentenkürzungen führen könnte. Doch diese würden mit seinem Vorschlag etwas gemildert. Zeitgleich würde aber die Ungleichbehandlung derer, welche bis 62 oder 63 Jahre alt arbeiten aufgehoben und nicht wie vorgesehen verschlechtern.

Diese Argumentation wollte Rechsteiner gerne im Plenum diskutiert haben. Er sagte denn auch: »Man kann also sagen, dass der Antrag in dem Sinn prüfenswert ist, weil er erlaubt, die Frage zu thematisieren, was man mit der Vorlage will. Sie hat zwei Ziele: erstens den Absturz in die Sozialhilfe zu vermeiden und zweitens das Vorsorgeguthaben zu schützen, sprich: dafür zu sorgen, dass jemand im Alter nachher die Rentenbezüge hat, die es ihm erlauben im Normalfall, nach einer Berufskarriere ohne Ergänzungsleistungen zu leben, nämlich von der Rente der AHV und der Pensionskasse.»

Absturz in die Sozialhilfe vermeiden

Das ist das, was auch unser verfassungsmässiges Ziel der Vorsorge ist: Man soll, wenn man gearbeitet hat, im Rentenalter von der AHV und der Pensionskasse leben können. Das ist real in den meisten Fällen nur möglich, wenn es keine versicherungstechnische Reduktion der AHV-Leistung und der Pensionskassenrente gibt.

Die Sicherung der Vorsorge ist das zweite wichtige Ziel der Vorlage.

Mit Erich Ettlin (OW, FDP – Die Liberalen) erhielt Rechsteiner Unterstützung. Ettlin wies auf den grössten Missstand im Einzelantrag von Noser hin: «Die Leistung erfolgt bis zum frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorbezugs, das heisst, die Leute müssen die Rente nicht Vorbeziehen. Sie kriegen dann einfach die ÜL nicht mehr. Das ist Fakt.»

Ruedi Noser`s Vorschlag würde 13.6% Rentenkürzung auf der AHV bedeuten

Im heutigen System – es verändert sich vielleicht noch, denn wir haben die Vorsorgereform ja noch nicht im Trockenen – beträgt die AHV-Maximalrente einer einzelnen Person 2’370 Franken pro Monat. Bei zwei Jahren Vorbezug würde sie um 13,6 Prozent gekürzt. 2’048 Franken wäre die Maximalrente dann noch – lebenslang.

Trotz diesen Voten nahm der Ständerat den Vorschlag von Ruedi Noser an. Auch wenn dies mit 23 zu 21 Stimmen äusserst knapp geschah. Die Ernüchterung war sowohl bei Bundesrat Alain Berset wie auch bei den Gewerkschaften gross. Der Antrag Noser heisst nichts anderes als eine Kürzung der Rente um 13.6 Prozent und damit ein weiterer Sozialabbau auf Kosten der älteren Arbeitnehmehmenden. Dies gilt es zu korrigieren.

Keine Unterstützung im Nationalrat

Das Gesetz muss nun noch in die Beratung des Nationalrates. Dort dürfte das Gesetz vor allem von Arbeitnehmer-Seite stark bekämpft werden. Die durch den Antrag Noser eingeführte faktische Rentenkürzung wird auch im Zweitrat viel zu reden geben. Leider ist zu befürchten das die sich die Bürgerlichen hier dem Vorschlag des Ständerates schliessen werden.

Erneut zeigt die Mehrheit in den Räten wohl kein Gehör für die Anliegen der Arbeitnehmenden. Die Bürgerlichen in beiden Räten lassen lieber die Steuerschlupflöcher zu, bewilligen teure Anschaffungen von Kampfflugzeugen und glauben an den grossen Segen mit den damit verbundenen Offshore Geschäften. Obwohl diese von der WTO nicht gern gesehen sind. Bei den ÜL einen Kompromiss zu finden wird schwer. Oder einfacher gesagt, der eigenen Klientel wird zugeschanzt, den anderen wird genommen. Willkommen in der Welt der (gewollten) Armut!

Von Urs Berger, in Zusammenarbeit mit VfsG, Januar 2020

2 Kommentare zu „Arbeitslos über 60 – Keine wirklich gute Lösung in Sicht

  1. Ja. So ist es. Und ich erwarte bei der Geiz ist Geil Mentalität der Marktwirtschaft keine Besserung. Nach über 30 Jahren Mitarbeit in der CH Wirtschaft ins Abstellkämmerli gestellt und vergessen zu werden ist äusserst bitter. Ende der Beruf(ung). Dazu kommt die dauernde Schikane des RAV, einen Arbeitsmarkt zu „bewerben“ der gar von Älteren beworben werden will. Danach die ständige Zwängerei der Sozialhilfe, um sich in den 2. Arbeitsmarkt reinwürgen zu lassen, als Billigst-, bzw. Gratismitarbeiter der „Integrationshilfen“. Eben; Schwervermittelbar wie wenn man Behindert sei. Wem hilft’s? Schliesslich die garantierte Altersarmut – in der ach so reichen Schweiz. Da hängt man/frau sich irgendwann politisch und in Sache Integrationswilligkeit endgültig ab. Seelisch ausgelaugt durch das wirtschaftliche und amtlich verordnete Dauermobbbing und -bossing geht halt die Gesundheit flöten. Der Schaden wird noch grösser und vor allem deutlich teurer.

  2. Die Überbrückungsleistung ist eine Mogelpackung: Eine Voraussetzung dafür ist, dass das Vermögen gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. d Entwurf-ÜLG weniger als CHF 100‘000 beträgt. Der Witz dabei: dazu zählen gemäss Auskunft des BSV auch das Freizügigkeitskonto sowie die nach Art. 3 Abs. 2 Entwurf-ÜLG erst noch zu schaffende freiwillige Weiterversicherung BVG: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/58828.pdf

    Also, welcher ausgesteuerte 60-Jährige, der „sein gesamtes Leben gearbeitet haben muss“, hat denn weniger als CHF 100’000 Vermögen und – nebst den anderen Voraussetzungen – überhaupt Anspruch auf Übergangsleistungen? Kunststück, gehen unsere Behörden nur von ganz wenigen Bezügern aus!

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