Chance auf soziale Gerechtigkeit im Aargau

Da wir selten die Gelegenheit haben, über positive Entwicklungen zu berichten, möchte ich für diesen Newsletter die Chance nutzen und über eine positive Entwicklung aus dem sonst eher konservativen, bürgerlichen Aargau berichten.

Am 4. März lehnte der Aargauer Regierungsrat die Forderung von Grossrät:innen ab, die Sozialhilfe deutlich zu kürzen. Zusammengefasst wollten die Grossräti:innen folgendes erreichen: Nur wer Sozialversicherungsbeiträge geleistet und Steuern bezahlt hat sowie motiviert, engagiert und integrationswillig ist, soll im Aargau die volle Sozialhilfe erhalten.

Die bürgerlichen Grossrät:innen Martina Bircher (SVP), Susanne Voser (Die Mitte), Renate Gautschy und Adrian Schoop (beide FDP) sind in Sachen Beschneidung der Sozialhilfe im Aargau keine unbeschriebenen Blätter. Bereits im Jahr 2017 versuchten sie unter dem Motto „Motivation statt Sanktion“ die Kürzung des Grundbedarfs für Sozialhilfeempfänger:innen um 30 % zu senken. Die volle Sozialhilfe sollten demnach nur noch Personen erhalten, die „integrationswillig, motiviert und engagiert sind“.

Als Beweggründe geben die bürgerlichhen Grossrät:innen die Sorge um den „sozialen Frieden in der Sozialhilfe“ an. In einer weiteren Motion verlangten sie deshalb, die Höhe der Sozialhilfe an die Anzahl Steuerjahre oder AHV-Beitragsjahre zu knüpfen. Am Beispiel eines älteren Schweizers, der am Ende seines Erwerbslebens steht, seinen Job verliert und ausgesteuert wird, bedeutet dies, dass er mehr Sozialhilfe erhalten würde als eine junge Mutter mit Migrationshintergrund, die bisher keine Beiträge in das System eingezahlt hat. So viel zum Thema sozialer Frieden.

Der Grosse Rat überwies die Motionen als weniger verbindliche Postulate, die Regierung musste die Anliegen daher vertieft prüfen. Er kam zu dem Schluss, dass eine solche Unterscheidung beim Grundbedarf in der Sozialhilfe „verschiedene verfassungswidrige Grundrechte tangiere“. Des Weiteren zweifelt er das Kosten-Nutzen-Verhältnis an.

Bei einer Kürzung der Sozialhilfe von 30 % gerieten die von den Gemeinden auf ca. 5 % geschätzten nicht kooperationsbereiten Bezieher:innen, stärker unter Druck und sollten laut Theorie besser mitarbeiten. Betroffen wären aber auch die 95 % der anderen Bezugspersonen. Der finanzielle und mentale Druck, der damit auf die Sozialhilfebeziehenden ausgeübt wird, könnte sich auch negativ auf ihre  Motivation ausüben und zu Widerständen führen, die die Integration behindern können. Des Weiteren stellt sich die Frage: Wie misst man die Motivation dieser Personen, um dies adäquat beurteilen zu können?

Der andere Vorstoss, die die Höhe der Sozialhilfe an die geleisteten Sozialversicherungsbeiträge knüpfen will, wird vom Aargauer Regierungsrat ebenfalls kritisch eingeordnet und steht aus seiner Sicht im Konflikt mit dem Bundesrecht. Leidtragende wären bei dieser Vorlage vor allem Kinder, Jugendliche, Migrant:innen und junge Erwachsene.

Es ist positiv überraschend, dass der bürgerlich dominierte Aargauer Regierungsrat so umsichtig und vorausschauend argumentiert und handelt. Die Initiatnt:innen, die die Kürzung der Sozialausgaben vor allem im Blick haben, verkennen jedoch die langfristigen Folgen ihrer Ansätze. Auch wenn es kurzfristig zu Senkungen bei den Sozialausgaben kommen wird, so bleibt unklar, wie sich die Massnahmen auf die Sozialhilfebeziehenden auswirken und ob diese dann nicht eher längerfristig ausfallen.

Weiterführende Informationen:

Motion Martina Bircher, SVP, Aarburg (Sprecherin), Renate Gautschy, FDP, Gontenschwil, Dr. Adrian Schoop, FDP, Turgi, und Susanne Voser, CVP, Neuenhof, vom 7. November 2017 betreffend „Motivation statt Sanktion“ in der Sozialhilfe – Änderung der Bemessung

Motion Martina Bircher, SVP, Aarburg (Sprecherin), Renate Gautschy, FDP, Gontenschwil, Susanne Voser, CVP, Neuenhof, und Daniel Wehrli, SVP, Küttigen, vom 27. Juni 2017 betreffend sozialen Frieden in der Sozialhilfe bewahren – Erweiterung der zulässigen A

Ergebnis der Prüfung der Postulate (17.157) „Sozialen Frieden in der Sozialhilfe bewahren – Erweiterung der zulässigen Abweichungen von den SKOS-Richtlinien gemäss § 10 Bemessungsrichtlinien (§ 10 SPG)“ und (17.270) „Motivation statt Sanktion in der Sozialhilfe – Änderung der Bemessungsrichtlinien (§ 10 SPG)“