Resignation und Apathie: Weshalb von Armut Betroffene politisch weniger teilhaben

Viele Menschen interessieren sich nicht für Politik, weil sie ihr nicht vertrauen oder sie zu komplex und elitär ist.

Abstimmen, die eigene Meinung äussern, Unterschriften sammeln, öffentliche Kundgebungen organisieren, sich engagieren: Politische Partizipation widerspiegelt die Teilnahme der Bürger:innen am demokratischen Leben und ist ein grundlegender Bestandteil der Demokratie.

Jedoch ist sie ungleich verteilt: Beispielsweise werden Personen mit Behinderung nicht selten entmündigt, weshalb sie ihre Bürger:innenrechte nicht wahrnehmen können. So dürfen sie nicht selbst unterschreiben oder abstimmen. Auch Menschen ohne Schweizerpass – ungefähr ein Viertel der Schweizer Bevölkerung – sind vom politischen System ausgeschlossen. Zudem existiert in der Schweiz ein Gender Gap in der politischen Repräsentation, so humanrights.ch: «Trotz langjähriger Bemühungen ist die Beteiligungsquote von Frauen an politischen Entscheidungsprozessen jedoch immer noch deutlich tiefer als diejenige der Männer – patriarchale und sexistische Strukturen erschweren ihnen den Zugang zur politischen Partizipation».

Weiter hängt die Beteiligung stark von den sozio-ökonomischen Ressourcen der Bürger:innen ab: Bildungs- und einkommensstarke Bevölkerungsschichten beteiligen sich am häufigsten, während Menschen, die arbeitslos sind oder an/unterhalb der Armutsgrenze leben, weniger partizipieren und somit geringere Chancen haben, ihre Interessen zu vertreten. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass die politische Teilhabe einen direkten Einfluss auf das eigene Leben hat. Sie interessieren sich nicht für Politik, weil sie ihr nicht vertrauen oder sie zu komplex und elitär ist. So schreibt die Soziologin Petra Böhnke«Nicht Protest und Engagement, sondern Resignation und Apathie gehen mit prekären Lebenslagen einher, wenn diese dem individualisierten Zeitgeist entsprechend als Schicksalsschläge persönlich verantwortet werden und immer weniger einer gesellschaftlichen und politischen Gestaltung zugänglich erscheinen».

Gesellschaftlich wird in Armut lebenden Personen das Gefühl gegeben, sie seien selbst «schuld» an oder verantwortlich für ihr Dasein. Dadurch denken Betroffene, dass sie alles alleine schaffen müssen und äussere Umstände – wie beispielsweise politische Entscheidungen – keinen Einfluss auf das eigene Leben hätten. Dass man politisch etwas verändern kann, glauben viele Menschen nicht. Wem diese politische Überzeugung und Handlungsmacht fremd ist, der:die neigt weniger zur Beteiligung am politischen Prozess.

Diese fehlende Beteiligung bewirkt, dass die Grundpfeiler der Demokratie untergraben werden, so Sebastian Bödeker: «Die ungleiche Teilhabe an politischen Prozessen untergräbt das demokratische Ideal politischer Gleichheit, das die gleiche Berücksichtigung von Interessen der Bevölkerung fordert. Diejenigen, die im politischen System besser repräsentiert sind und ihren Interessen Ausdruck verleihen können, werden mit grösserer Wahrscheinlichkeit von politischen Reformen profitieren».

Das Ziel muss also sein, die verbreitete Apathie in Handlungsmacht umwandeln zu können, denn durch die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen könnten in Armut lebende Menschen erheblich dazu beitragen, politische Veränderungen herbeizuführen, die ihnen zugutekommen. Darüber hinaus kann politische Partizipation dazu beitragen, das Bewusstsein für die Bedürfnisse und Herausforderungen von in Armut lebenden Menschen zu schärfen und die politische Debatte auf diese Themen zu lenken.

Um dieses nötige politische Interesse zu wecken und Partizipation bei breiten Bevölkerungsschichten zu fördern – und hier sind Bildungsinstitutionen, Politik und Gesellschaft gleichermassen gefragt – müssen Vertrauen aufgebaut, konkrete Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt und politische Bildung im Alltag und in den Schulen integriert werden.

Eine breite und möglichst über alle gesellschaftlichen Schichten hinweg gleich verteilte Teilhabe gilt als Qualitätsmerkmal einer Demokratie; oder mit den Worten des Politikwissenschaftlers Jan van Deth: «Wer Demokratie sagt, meint Partizipation».